Begutachtung – Bundesgesetz zur Stärkung der Selbstbestimmung von unmündigen Mädchen an Schulen mittels Einführung eines Kopftuchverbots
1. Allgemeines
Die Österreichische Gesellschaft für Schule und Recht teilt mit, dass gegen den gegenständlichen Gesetzesentwurf kein Einwand besteht. Hervorzuheben ist, dass die amtlichen Erläuterungen außergewöhnlich umfangreich sind und hohes wissenschaftliches Niveau aufweisen. Sie gehen insbesondere detailliert auf die Begründung des VfGH in VfSlg 20.435/2020 ein und bringen eine Fülle von Argumenten vor, die überzeugend für die Verfassungskonformität der Neuregelung sprechen. Dass auch diese Argumentation keine hundertprozentige Gewähr gegen eine erneute Aufhebung des §43a SchUG durch den VfGH bieten kann, liegt angesichts dessen, dass es im Endeffekt um eine Abwägung von Zielen bzw Interessen geht, auf der Hand, ist dem Normsetzer wohl bewusst und sollte daher kein durchschlagendes Argument für eine Abstandnahme von der geplanten gesetzlichen Regelung sein.
2. Einzelne Formulierungen
Hinsichtlich einzelner Formulierungen im vorliegenden Gesetzesentwurf wird dennoch Folgendes angeregt:
Die Wendung „ist Schülerinnen der Vorschulstufe und der ersten bis einschließlich achten Schulstufe das Tragen eines Kopftuches, welches das Haupt als Ausdruck einer ehrkulturellen Verhaltenspflicht verhüllt, im schulischen Kontext untersagt“ in § 43a Abs 1 SchUG macht den Nebensatz „welches das Haupt als Ausdruck einer ehrkulturellen Verhaltenspflicht verhüllt“ sprachlich zu einem Tatbestandsmerkmal: Das Verbot greift also nur dann, wenn nachgewiesen werden kann, dass eine Schülerin ein Kopftuch „als Ausdruck eines ehrkulturellen Verhaltens“ trägt. Dies eröffnet möglicherweise eine Einfallspforte für alternative, auf ihren Wahrheitsgehalt kaum überprüfbare Begründungen (z.B. eine Schülerin begründet das Tragen des Kopftuches damit, dass dies ihr dringender religiöser Wunsch sei und sie unter keinem wie immer gearteten Zwang stünde), was mit der Vorschrift wohl gerade nicht intendiert ist. Der Umstand, dass „ehrkulturelles Verhalten“ verhindert werden soll, gehört vielmehr zu den allgemeinen Zielsetzungen der Bestimmung und sollte daher, wenn man auf die Erwähnung dieser Intention im Gesetzestext nicht verzichten will, an den Beginn der Vorschrift gestellt werden, etwa: „Um ehrkulturelles Verhalten hintanzuhalten, die bestmögliche Entwicklung und Entfaltung aller Schülerinnen und Schüler im Sinne des Kindeswohls sicherzustellen und insbesondere die Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und Sichtbarkeit von Mädchen zu fördern,“. Oder aber man streicht den in Rede stehenden Nebensatz ersatzlos aus der Bestimmung; die Zielsetzung, ehrkulturelles Verhalten hintanzuhalten, ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit auch aus den Gesetzesmaterialien.
Angemerkt wird in diesem Zusammenhang, dass in einem Punkt auch die Gesetzesmaterialien missverständlich sind: Das in § 43a Abs 2 SchUG genannte Gespräch dient nicht nur „der Ursachenklärung und der Einschätzung etwaiger psychischer oder sozialer Einflussfaktoren, die das Verhalten der Schülerin motiviert haben könnten“ (Seite 7), sondern müsste die Schülerin darüber aufklären, aus welchen Gründen das generelle Kopftuchverbot besteht.
Die Wendung „im schulischen Kontext“ in § 43a Abs 1 SchUG verwendet ein Vokabel, das, soweit ersichtlich, bislang (nicht nur, aber auch) in der schulrechtlichen Gesetzessprache unbekannt ist und erweckt – trotz der dahingehenden Erläuterungen in den Gesetzesmaterialien – Bedenken in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot des Art 18 Abs 1 B-VG. Bei einer engen oder je nach Sichtweise weiten Wortinterpretation dürfte eine Schülerin auch bei der Erledigung von Schulaufgaben in der elterlichen Wohnung kein Kopftuch tragen. Insofern wird eine präzisere Umschreibung „auf dem Schulgelände und …“ angeregt.
§ 80b iVm § 43a Abs 3 SchUG lässt – obwohl gemäß Art 7 Abs 1 B-VG und Art 7 EMRK bei der
Statuierung von Verwaltungsübertretungen ein verschärftes Determinierungsgebot besteht – offen, worin die Verwaltungsübertretung konkret besteht. Ist dies bereits ein erneuter Verstoß im Anschluss an das zweite Gespräch gemäß § 43a Abs 2 SchUG? Oder erst ein – in § 43a Abs 3 SchUG überhaupt nicht genannter – erneuter Verstoß nach dem Gespräch mit der Bildungsdirektion? Oder soll, wie dies die Gesetzesmaterialien insinuieren (Seite 8), dies erst einer weiteren Novellierung des SchUG, konkret: einem neuen § 80b Abs 2 SchUG vorbehalten bleiben? Die Ausssage „Verstöße gegen § 43 Abs. 1, 2 und 3 werden darin jedenfalls eine Verwaltungsübertretung darstellen.“ könnte darauf hindeuten, dies aber auch nur unter der Voraussetzung, dass § 43a gemeint ist.
Für den Vorstand
Univ.-Prof. DDr. Dr. h.c. Bernd Wieser
Referent für Gesetzesbegutachtungsverfahren